Martina Venanzoni
Seestück, Kunsthalle Arbon
2024
Mehrere Objekte sind im Ausstellungsraum der Kunsthalle Arbon verteilt. Auf dem Boden platziert sind weisse Wannen, teilweise mit Wasser gefüllt. Einige stehen auf Beinen, andere liegen direkt auf dem Boden auf, wieder andere sind umgedreht. Angelehnt an die Wände stehen Holzstäbe. Bei den Objekten in Max Leiß' Ausstellung Seestück handelt es sich um Schubkarretten, die Leiß in einzelne Teile zerlegt, sandgestrahlt und weiss lackiert hat. Zusammen erzählen sie eine Geschichte – von der Kunsthalle Arbon, vom Bodensee, und davon, wie der Mensch sich die Landschaft aneignet und nach seinen Bedürfnissen formt, aber auch, wie die Natur den Menschen zu Erfindungen und Ideen verleitet.
Die Kunsthalle Arbon war einst Lagerhalle der Firma Schädler, bekannt für die von ihnen entwickelte Spitzbodenkarrette. Einige der Schubkarretten in der Ausstellung sind von diesem Typ, doch gibt es auch andere. Leiß hat sie gebraucht gekauft und von verschiedenen Orten zusammengetragen. Schubkarretten werden dazu genutzt, Bau- oder Gartenarbeiten zu erledigen. Sie dienen oftmals dazu, die Natur zu domestizieren und an unsere Bedürfnisse anzupassen. Indem Leiß die Schubkarren in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt und diese als Skulpturen präsentiert, enthebt er sie ihrer unmittelbaren Funktion. Durch die weisse Farbe werden sie modellhaft, der Blick wird auf ihre Form gelenkt und auf ihren Zustand als Akteure im Wechselspiel zwischen Natur und Kultur. Mit Wasser gefüllt verweisen sie auch auf den See, wirken teilweise fast wie Papierboote. Als Skulpturen vereinigt sich in ihnen die vom Bodensee geprägte Landschaft mit der Geschichte der Kunsthalle Arbon.
Ein Seestück ist ein Begriff aus der Landschaftsmalerei. Während der englische Begriff seascape (als Gegenbegriff zum landscape painting) auf eine Darstellung des Meeres hinweist, lässt das deutsche Seestück eine Doppeldeutigkeit zu. Ein Seestück ist auch immer ein «Seh-Stück», ein gesehenes Stück Landschaft. Im oberen Raum sind Fotografien präsentiert, die Leiß am Rhein aufgenommen hat, in der Nähe von Basel, wo er wohnt. Um die Landschaft rund um die Kunsthalle Arbon zu erkunden, unternahm der Künstler als Vorbereitung für die Ausstellung eine Reise mit dem Kanu auf dem Bodensee: Während rund einer Woche fuhr er dem Ufer des Sees entlang. Auf dieser Reise entstanden Filmaufnahmen, die in einer Installation im Keller der Kunsthalle präsentiert werden. Sie zeigen scheinbar unberührte Natur, menschliche Interventionen und Bebauungen sowie Gegenstände der Industrialisierung und erzählen damit eine Geschichte über die Menschen, ihre Umgebung und ihr Bedürfnis nach Formgebung und Gestaltung.