Claire Hoffmann
Kunstkredit Basel-Stadt / Kunsthalle Basel
2016
DE
Fragil, etwas verbogen, insektenhaft – Max Leiß’ ursprünglich von einem Regenschirm stammendes Drahtfragment birgt ein fast bedrohliches Bewegungspotenzial, wie eine Feder, die jederzeit hervorschnellen könnte – en garde! Diese Wirkung wird noch verstärkt, wenn das Scharnier nicht einfach wie in dieser Publikation auf Papier fotokopiert ist, sondern enorm vergrössert als glänzendes Aluminium-Objekt im Raum steht. In seiner lauernden Mechanik scheint das skulpturale Objekt die Raumdimensionen abzumessen; zugleich weist es auf die eigenen menschlich-körperlichen Dimensionen und Handlungsmöglichkeiten hin.
Max Leiß’ Arbeit speist sich aus einer bildhauerischen Praxis. Das Abtragen von Material, die formende Reduktion einer bestehenden Masse kombiniert er mit plastischem Aufbau, Konstruktion, Abformen und Gusstechniken oder einer farbigen Fassung. Jedoch stehen am Anfang weder ein Marmorblock noch eine Packung Lehm: Es sind Beobachtungen, Fundstücke von der Strasse, Zufallsbegegnungen, die er in sein Atelier mitnimmt und dort bildhauerischen Transformationen unterzieht. Dabei verlassen die Dinge ihren Kontext und erinnern sich doch an ihre Funktion. Sie werden zu Elementen zerlegt, lackiert oder abgeschliffen, vielleicht in einem anderen Material nachgebaut oder vergrössert, im Raum ausgelegt, aufgehängt, anderen Gegenständen zugeordnet. Alte und neue, fremde und eigene Handlungen hinterlassen ihre Spuren. So stehen am Ende rohe, etwas verlorene Formen da. Durch die formale Reduktion und Entledigung der bisherigen Bezugnahmen tritt ihre Zeichenhaftigkeit umso stärker hervor. Die ursprüngliche, unmittelbare Verbindung zwischen dem Objekt und seinem Nutzen, der Herkunft und der Bedeutung ist verwischt worden.
So sind die Dinge ganz bei sich und werden zugleich zu Spielsteinen, die sich in Bezug zu Raum, anderen Objekten und zum Betrachtenden setzen. Etwa schnitzt, bearbeitet und lackiert Max Leiß eine Eckbank soweit, dass sie mit der haptischen Oberfläche und neu gewonnenen Fragilität von der eindeutigen Funktion als Sitzgelegenheit befreit wurde. Ein wissenschaftliches Diagramm des Universums in Form einer konzentrischen Schlaufe, die in unterschiedliche Richtungen ausläuft, ist bei einer anderen Arbeit Vorlage für eine Serie gegossener, roh belassener Metallformen. Das Bild für unermessliche Grösse und Zeitlichkeit wird hier zu einem handlichen, archaisch anmutenden Ding. Oder eine Gussform wird in anderem Massstab nachgebaut und erreicht die Grösse eines Pavillons. Schamott, eigentlich ein stets dienstfertiger Werkstoff für die Herstellung der Negativform beim Bronzeguss, wird selbst in gegossene Formen gebracht. Oft entstammen die „Fundstücke“ Max Leiß’ Atelier und seinen Arbeitsprozessen selbst. Die Dinge sollen letztlich in Bewegung bleiben. Wie das in mehrere Richtungen auslaufende Modell des Universums die Relativität eines Entwicklungsstrangs aufzeigt, ist auch im Kleinen – im architektonischen, künstlerischen, menschlichen Raum – jede Setzung nur eine von vielen möglichen.
EN
(...) Max Leiß's work emanates from a sculptural practice. He combines the removal of material, the formative reduction of an existing mass, with plastic construction, molding and casting techniques or coloration. Starting points can be quotidian observations or found objects from the street which he takes to his studio and subjects them to sculptural transformations. In the process, these objects leave their context and yet remember their function. They are disassembled into elements, painted or sanded, perhaps enlarged or partly reconstructed in another material, laid out in space, hung up, assigned to other objects. Old and new, foreign and own actions leave their traces. In the end, raw, somewhat lost forms remain. Through the formal reduction and the removal of the previous references, their symbolic quality becomes all the more apparent. The original, immediate connection between the object and its use, origin and meaning has been blurred. Thus, these sculptures rest completely with themselves and at the same time become playful elements relating to space, to each other, and the viewer. (...)