Ines Goldbach
Sehen als kreativer Akt, Kunsthaus Baselland
2016
DE
Ein hängendes Objekt aus Stahl und Glas, das in seinen Umrissen an eine Überwachungskamera denken lässt; geometrische Formen wie Linien oder Flächen aus rötlichem Schamott; minimale skulpturale Gebilde aus Metall oder Holzplatten, die Architekturmodelle sein könnten – wären da nicht ihre Masse, die sich diesem Eindruck verweigern. Schwarz-Weiss-Fotografien von Baukörpern, die reale Situationen im urbanen Raum zeigen, zugleich aber merkwürdig unwirklich anmuten.
Es gehört zu den grossen Qualitäten des in Basel tätigen Künstlers Max Leiß (* 1982), die skulpturalen Eigenarten von Gegenständen, Formen, Architekturen und Situationen des Alltags zu sehen und mit präzisen Eingriffen und Setzungen zu verstärken. Er realisiert Objekte, die eine Funktionalität, auch eine gewisse Alltäglichkeit und damit Selbstverständlichkeit vermitteln – sich aber im nächsten Augenblick diesem Eindruck durch ihre Rätselhaftigkeit und Faszination grundlegend entziehen. Nicht allein die Neuproduktion, sondern das Aneignen, das präzise Umgehen mit dem Vorhandenen ist seinem Arbeitsprozess wesentlich. Oft stammen die Gegenstände aus dem städtischen Gefüge und werden auf ihre skulpturalen Möglichkeiten befragt. Fast scheint es so, als würde das Objekt von seiner gängigen Funktionalität und zugleich Eindeutigkeit für einmal befreit. Aber es sind eben nicht nur die Gegenstände, die losgelöst vom Alltäglichen erscheinen – man selbst, durch die skulpturalen und visuellen Angebote animiert, scheint ein wenig freier im Sehen und Verstehen der eigenen Umgebung.
Das künstlerische Interesse des Bildhauers Leiß geht jedoch über den Umgang mit Fundstücken weit hinaus, es gilt der Formfindung und Transformation, der Schaffung und zugleich Hinterfragung von Volumen, architektonischen und skulpturalen Qualitäten von Gebautem, Gegossenem, Abgetragenem und eben auch Fotografiertem. Dass Max Leiß auch den jeweiligen Ausstellungsraum auf seine spezifischen Eigenarten hinterfragt, ist daher folgerichtig. Für seine Ausstellung im Kunsthaus Baselland hat der Künstler vor Ort eine Linie aus Schamott gegossen, die die architektonische Struktur der drei hintereinandergeschalteten Räume mit einer knapp 40 Meter langen Diagonale überschreibt, gliedert und zugleich als Ganzes lesbar macht.
Im Gespräch mit Max Leiß fällt ein Satz, der sein künstlerisches Vorgehen sehr präzise zu umschreiben vermag: Das Schauen sei für ihn fast das Gleiche wie das Machen. Damit trifft er einen wichtigen Punkt. Das Sehen wird als kreativer Akt verstanden. Denn das aufmerksame Beobachten von räumlichen Konstellationen im Aussenraum ebenso wie im Ausstellungsraum ist nicht nur wichtigster Impuls für Leiß’ künstlerische Tätigkeit selbst. Gerade in einer grösseren Auslegeordnung wie einer Ausstellung wird deutlich, wie Leiß seine Arbeiten untereinander kommunizieren lässt und sie die Kapazität haben, sich inhaltlich – mal subtil, mal offensichtlich – miteinander zu verbinden. Auch werden Momente sichtbar, die das künstlerische Vorgehen von Max Leiß prägen: Eine Setzung, eine Formfindung, ein Eingriff kann Auslöser und Anlass für die nächste Arbeit werden und zu ihr überführen. Max Leiß’ Arbeiten sind ein Angebot. Ein Angebot, sich seinen Werken und deren Verbindungen zueinander aufmerksam, neugierig und reflektierend zu nähern und mit einem frischen Blick unser Umfeld und unsere Alltagsrealitäten zu sehen – mit all ihren Besonderheiten, Absurditäten und auch ihrer Poesie. Es kommt eben einer kreativen Leistung gleich, das vielfach, an jeder Ecke, jedem Platz und jedem Zwischenraum gestaltete städtische Umfeld als skulpturale, rätselhafte, teils ungewollt humorvolle Setzungen innerhalb eines urbanen Gefüges sehen und als solches verstehen zu können.
EN
A suspended object in steel and glass, the outline of which could remind you of a surveillance camera; geometric forms like lines or shapes in reddish chamotte clay; minimal sculptural figures from metal or planks that could be architectural models – if it were not for their size preventing that reading. Black and white photographs of building masses that show actual situations in urban spaces, yet still seem strangely unreal.
Among the great qualities of the Basel-based artist Max Leiß (b. 1982) is that he sees the sculptural particularities of objects, forms, architecture and everyday situations and emphasises them with precise interventions and arrangements. He realises objects that communicate their functionality and being of an everyday nature, and thus matter-of-factness, yet upon a further glance those same objects fundamentally retract the first impression through their strangeness and ability to fascinate. Key to his working process is not merely new production, but also the appropriationof that which already exists and how he deals with it. Objects often come from urban material and are examined for their sculptural potential. It almost seems as if the object is freed from its customary functionality and given ambiguity for once and for all. But not only objects seem to be loosened from the everyday – inspired by these sculptural and visual propositions, the viewer themselves may be a little freer to see and understand their own environment.
However, the sculptor Leiß’ artistic interest goes much further than his approach to found objects. It lies equally in finding forms and transformations, in creating and at the same time challenging volumes, the architectural and sculptural qualities of that which is built, cast, excavated and, indeed, photographed. It is consistent, therefore, that Max Leiß does not merely break objects down, transform and alter them in order to distil the sculptural qualities of these found things, but he also scrutinises the specific particularities of a given exhibition space. For his exhibition at the Kunsthaus Baselland the artist has cast a line of chamotte clay in situ, a line that draws a nearly 40-metre-long diagonal over the three connecting gallery spaces, a line that links them and makes them legible as one whole.
In discussion with Max Leiß, a line occurs that could define his artistic approach very precisely: for him, looking is almost the same as making. With this, he makes an important point. Seeing is understood as a creative act. Attentive observation of spatial constellations in outdoor spaces as well as within the exhibition space is not just an important stimulus for Leiß’ artistic activity itself. In the major stocktaking that an exhibition offers it becomes clear how Leiß creates dialogue between his works, works that have the capacity to relate to each other – sometimes subtly, sometimes more obviously. Moments also become visible that mark Max Leiß’ artistic process: an arrangement, the finding of a form or an intervention can become the catalyst and reason for the next work, leading into it. Max Leiß’ works are a proposal. An offer to approach his works and to consider them and their interconnections attentively, reflectively and with curiosity, and to see our own environment and our quotidian realities with fresh eyes – with all their particularities, absurdities and their poetry too. It is indeed a creative performance to be able to see and understand the multiplicity on every corner, in every square and every in-between space of the designed civic space as sculptural, cryptic, sometimes unintentional arrangements within the greater urban fabric.